Jom Kippur und die Bedeutung des Nichts-Tun
Nach Rosh Hashanah findet dieses Wochenende das zweite und wichtigste Fest der Feiertagssaison statt: Jom Kippur. Es beendet die zehntägige "Zeit der Reue und Umkehr" zwischen den beiden Feiertagen. Ich verbringe auch diesen Feiertag hier in Haifa.
Tun oder Nichts Tun?
So langsam habe ich das Gefühl, dass Judentum zu verstehen. Es gibt keine andere Religion, in der man so wenig tun soll wie im Judentum. Nicht nur, dass schon jedes Wochenende nur alle zwei Stunden ein Bus fährt. An Feiertagen geht es weniger darum, einen Baum aufzustellen oder Eier zu suchen, sondern eher darum, sich nicht zu bewegen oder zu kochen oder zu essen oder irgendwas zu machen. Die Regeln sind im Prinzip die Gleichen wie an Shabbat, nur darf man noch etwas weniger Tun. Tags wird gefastet, und Sex ist auch verboten. Ansonsten ist der einzige Unterschied, dass sich auch säkuläre Juden an die Regeln halten. An Jom Kippur sieht man, wie es in Israel jeden Samstag aussähe, wenn alle Juden orthodox wären. Da alle Fasten und dementsprechend gereizt sind, wurde mir eindringlich dazu geraten, draußen nicht zu essen oder zu trinken.

Totenstille...
Seit Freitag Abend ist Autofahren untersagt, und nun ist die Stadt still wie ein Kartoffelacker. Selbst Unfälle scheinen seltener an Jom Kippur, die letzte Sirene habe ich vor Stunden gehört. Nur ein paar Araber fahren ab und zu durch die Straßen und treiben die Fußgänger und Fahrradfahrer auf den Bürgersteig zurück. Eine Großstadt so leise zu sehen ist etwas gespenstisch, und passt vom Setting super in jeden Zombie-Film. Es ist erstaunlich, wie wichtig die Geräuschkulisse für das Feeling einer Stadt ist. Obwohl ich als Stadtkind den Autolärm kaum bewusst wahrgenommen habe, ist die jetzige Stille dröhnend.
Ein bisschen Geschichte
Den Stillstand der israelischen Gesellschaft an Jom Kippur haben sich 1973 auch Syrien und Ägypten zu Nutze machen wollen. Im Jom-Kippur-Krieg wurde die IDF (Israel Defense Force) kalt erwischt. Letztlich haben die Israelis allerdings auch diesen Krieg (der vierte arabisch-israelische) gewonnen. Seitdem bleibt die IDF auch an Jom Kippur in voller Bereitschaft.
Obwohl mir der religiöse Einfluss auf die israelische Gesellschaft etwas suspekt ist, halte ich die Relevanz der Religion für die Menschen hier für bewundernswert. Mir ist die Säkularisierung Deutschlands erst hier in Israel völlig deutlich geworden.